Tagungszentrum in Berlin Umland, entstanden aus Ruinen
19.07.2018
„Wat is en Dampfmaschin? Da stelle mer uns mal janz dumm und sagen, en Dampfmaschin, dat is ne jroße runde schwarze Raum. Und der jroße runde schwarze Raum, der hat zwei Löcher.“
Ob Hans Pfeiffer, der mit den drei f, die technischen Erläuterungen von Gymnasialprofessor Bömmel verstanden hat? Hat Bömmel, schusseliges Mitglied des Lehrkörpers in der „Feuerzangenbowle“, sie selbst verstanden? Man muss es bezweifeln und sollte ihm, wäre er nicht nur eine Figur in einem uralten Film, einen Aufenthalt auf dem Landgut Stober in Groß Behnitz, einem Ortsteil von Nauen, empfehlen. Dort, in der ehemaligen Brennerei, wo einst aus Getreide oder Kartoffeln Industriealkohol gewonnen wurde, steht solch eine tonnenschwere Dampfmaschine der Firma Borsig – von wem sonst, schließlich gehörte das Landgut der einst für seine Dampfloks berühmten Industriellenfamilie. Heute gibt es dort ein Restaurant, eine Weinstube, einen Hofladen, Konferenzräume jeglicher Größe, man kann dort sogar stilvoll heiraten und die Hochzeitsgäste gleich in den zwei Hotels des Landguts unterbringen, dies alles garniert mit idyllischer Natur, Seeblick inklusive. Doch egal, ob nun eine größere Gesellschaft aus solch privatem, der Liebe zu dankendem Anlass Quartier nimmt oder doch eher beruflich bedingt, im Rahmen einer sehr viel prosaischeren Tagung etwa – als Beiprogramm ist unter fachkundiger Anleitung eine Lehrstunde in der Dampfmaschinentechnik möglich, samt Auseinander- und wieder Zusammenschrauben ausgewählter Teile sowie Erwerb eines entsprechenden Zertifikats. Bömmel und Pfeiffer könnten da noch was lernen.
DER RECHTSSTREIT UM DEN NAMEN BORSIG SCHWELT NOCH IMMER
Ermöglicht hat diese Wiedergeburt des ruinösen, nach Kriegsende enteigneten und zu DDR-Zeiten völlig heruntergekommenen Anwesens derer von Borsig der Immobilienunternehmer Michael Stober, dessen Namen das Landgut heute auch trägt. Gegen die Verwendung des Namens Borsig hatte einer der Erben, der Sohn des letzten Besitzers, juristische Einwände geltend gemacht, der Rechtsstreit schwelt noch immer.
Aber auch ohne den berühmten Namen, der im Berliner Stadtbild noch immer vielfach präsent ist, floriert das Geschäft in der Hotelanlage mit ihrem angegliederten Gastronomie- und Veranstaltungsbetrieb offensichtlich bestens – so gut, dass Michael Stober zahlreiche Anfragen schon abschlägig bescheiden musste. Das Prinzip Fließband mag für Industriebetriebe ein Segen sein – bei Hochzeiten oder Tagungen ist es nicht zu empfehlen. Doch soll es mit derlei Engpässen in absehbarer Zukunft ein Ende haben, ist die Erweiterung des Hotelbetriebs fest geplant.
Der Erfolg war nicht abzusehen, als Stober das Landgut im Jahr 2000 übernahm. Mancher seiner Freunde und Bekannten neigte dazu, ihn deswegen für verrückt zu erklären. Er war gerade von der Ostsee zurückgekehrt, hatte mit zwei dort angebotenen Herrenhäusern geliebäugelt, die sich jedoch als vom Hausschwamm befallen erwiesen. Ein Freund empfahl ihm das ebenfalls zur Versteigerung anstehende ehemalige Landgut der Borsigs, er fuhr hin, sah den grassierenden Verfall, die leeren Fensterhöhlen, das aus den maroden Dächern wuchernde Grün, die Müllberge in den Gebäuden, erkannte aber, erfahren in der Sanierung selbst maroder Altbauten, die weitgehend intakte, jedenfalls reparable Substanz und sagte sich: „Entweder du machst das oder keiner.“ Stober griff zu.
Seither ist viel Geld in das ursprünglich 30 000, jetzt immerhin noch 20 000 Quadratmeter große Areal geflossen. Auf 18 Millionen Euro beziffert Michael Stober die Investitionen, zu je einem knappen Drittel finanziert durch Fördermittel und Bankdarlehen, der Rest durch Eigenkapital nach Verkäufen eigener Immobilien. Allerdings klotzte der neue Gutsherr, der dort mit seiner Familie mittlerweile auch lebt, nicht gleich los, ließ sein neues Reich eher organisch wachsen. Erst wurde das alte Logierhaus der Borsigs – eine verkleinerte Kopie des Herrenhauses, das 1946/47, noch vor dem Berliner Stadtschloss, abgerissen wurde – zum Hotel umgewandelt, dann an der Stelle einer früheren, längst verschwundenen Scheune Brandenburgs erstes zertifiziertes Bio-Hotel gebaut, samt Photovoltaikanlage zur Stromgewinnung, Regenwasserspülung für die Toiletten, Holzheizung und elektrosmog-reduzierten Zimmern. Insgesamt stehen nun 256 auf 128 Doppelzimmer und Suiten verteilte Betten zur Verfügung – für manche Tagung noch immer zu wenig, reisen doch deren Gäste eher solo an. Ein weiteres Haus mit 172 Einzelzimmern soll daher entstehen, dort wo an der Dorfstraße früher der Ferkelstall stand.
DIE AUFGABE: ALTE BAUSUBSTANZ UND NEUE NUTZUNG IN EINKLANG BRINGEN
Dabei ist es für Stober, zur Freude der Denkmalschützer, selbstverständlich, dass auch dieser Neubau der Vergangenheit verpflichtet bleiben und in derselben Kubatur wie der ursprüngliche Stall entstehen soll. Das hat er bereits mit dem Bio-Hotel so gehalten. Viel Fingerspitzengefühl gehöre dazu, um vorhandene Strukturen zu erfassen und zu ergänzen, umschreibt er sein Credo. So ist schon durch die Umwandlung von Geflügelhaus und Kälberstall zu einem Restaurant mit Terrasse zum romantisch umwucherten Groß Behnitzer See kein Fremdkörper im backsteinernen Gebäudesensemble entstanden. Auch dem alten Kornspeicher, der Brennerei, dem Rinderstall und dem Verwalterhaus sieht man die neue Nutzung durch 25 – ebenso für Tagungen wie Events und private Feiern geeigneten – Salons, durch Hofladen, Trauzimmer, eine alte Druckwerkstatt und anderes mehr von außen kaum an. Und innen hat Stober mit Erfolg versucht, die alte Bausubstanz und die neue Nutzung möglichst in Einklang zu bringen. Die Vielzahl von Räumen sehr unterschiedlicher, teilweise sogar variabler Größe lässt sogar ganz neue Veranstaltungsformen zu, jenseits der klassischen, auf Frontalbeschallung ausgerichteten Tagungsrituale.
75 PROZENT DER ÜBERNACHTUNGEN ENTFALLEN AUF TAGUNGEN
So müssen die Gäste bis auf Weiteres per Auto anreisen, vom Brandenburger Tor sind das rund 50 Minuten. Oder sie nehmen den Bus ab Bahnhof Nauen. Für ihr Wohl sorgen derzeit 60 Vollzeitkräfte, die überwiegend aus dem Ort und der Region kommen, sowie 150 saisonale Mitarbeiter. Und wie Michael Stober sich bemüht, seinen Betrieb nachhaltig und verantwortungsbewusst zu führen, bio sowieso, klimaneutral, gemeinwohlorientiert, ihm das auch wiederholt mit Auszeichnungen attestiert wurde, so hat er auch beim Personal teilweise ungewöhnliche Wege beschritten: Flüchtlinge einstellen? Klar, nur mit ihren Sprachproblemen nicht gerade an der Rezeption. In der Küche, im Housekeeping oder in der Technik ginge das schon, allerdings müsse der neue Mitarbeiter aus der Fremde von den einheimischen Kräften auch akzeptiert werden. Und so hat Stober, als er vor zwei Jahren einen Syrer für die Küche einstellte, diesen am ersten Arbeitstag persönlich der Belegschaft vorgestellt und dabei seine Fluchtgeschichte erzählt. Es hat funktioniert.
Ebenso gerne wie vom Gedeihen seiner „Vision“ nach der ersten Begegnung mit dem Landgut erzählt Stober von der Geschichte der Familie Borsig, hat sich in den knapp zwei Jahrzehnten geradezu zum Experten für diese Industriellendynastie entwickelt. Bei Erdarbeiten stieß man auf dem Gelände sogar auf germanische Siedlungsreste, deutlicher wird die Vorgeschichte des Guts Anfang des 19. Jahrhunderts, als Peter Alexander von Itzenplitz, Enkel des berühmten Generals Friedrichs II., dort ein Herrenhaus errichten ließ. Dessen Erben wirtschafteten das Gut rasch herunter, so dass es 1866 von Albert Borsig gekauft wurde. Die Berliner Firma Borsig hatte sich seit der Gründung durch seinen Vater August 1837 rasch zu einem führenden Unternehmen der Schwerindustrie entwickelt, war berühmt nicht nur für ihre Dampfloks, prägte das Stadtbild mit den Stahlkonstruktionen diverser Kuppelbauten, von denen nur noch die der Nikolaikirche in Potsdam die Zeiten überdauert hat.
DER FIGURENSCHMUCK STAMMT VOM ORANIENBURGER TOR IN BERLIN
Doch erfüllten die Borsigs, deren Familienbetrieb erst mit der Weltwirtschaftskrise in der Insolvenz versank und veräußert wurde, keineswegs das Bild raffgieriger Ausbeuter, führten ihre Firma vielmehr als für die Zeit geradezu menschenfreundliches Unternehmen, inklusive eigener Sozialkasse, Badeanstalt und Kantine. Auch das mit modernsten Methoden und neuester Technik geführte Landgut, für dessen Toreinfahrt Albert Borsig beim Abriss des Oranienburger Tores in Berlin 1867 die Sandstein-Trophäen retten ließ, diente nicht nur der Erholung der Familie, sondern versorgte die Kantinenküche mit frischen Lebensmitteln.
Später, als die Firma in die Insolvenz gegangen war, wurde hier in dunkler Zeit erneut Geschichte geschrieben, war das Landgut, nun betrieben von Ernst von Borsig, einer der Treffpunkte des Kreisauer Kreises. Mit ihm, dem Urenkel des Firmengründers, endete für die Borsigs die Zeit in Groß Behnitz. Die Gestapo war auf den Industriellensohn nicht gestoßen, die sowjetische Lagerhaft nach Kriegsende jedoch überlebte er nicht, und das Gut wurde enteignet. Nach der Wiedervereinigung klagte Ernst von Borsigs Sohn Manfred erfolglos auf Rückerstattung.